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Meine Oma Annie


Eine Frau, die mich sehr geprägt ist und seit 25 Jahren nicht mehr bei uns ist.
Sie wurde 1910 geboren hat also beide Weltkriege erlebt, wobei bei ihr immer nur der 2. Weltkrieg ein Thema war. Da hatte sie schreckliche Erlebnisse, die ich erst jetzt, im Nachgang als sehr intensiv empfinde. Ihre Schwägerin ist bei einem Bombenangriff auf Xanten „unter den Trümmern geblieben“, unter den Trümmern des Xantener Doms. Ihr Sohn, also Oma Annies Neffe, wurde geborgen, hat wochenlang im Koma gelegen und meine Uroma hat ihn nie aufgegeben. Er ist wieder wach geworden, allerdings hatte er kognitive Einschränkungen, die man aber nur bemerkte, wenn man es wusste. Sie ist dann später mit ihren Kindern (2 Mädchen –eines davon meine Mutter und einem Jungen) aus Xanten weggegangen und hat den Rest des Krieges bei Ihrer Schwester, die Ordensschwester war, verbracht.
Meine Oma war 49 Jahre als ich geboren wurde. Ich war ihr erstes Enkelkind und aus Erzählungen weiß ich, dass sie wohl vor lauter Begeisterung über meine Geburt auf dem Weg zu meiner Mutter alle Nelken aus dem Strauß auf dem Weg verloren hat. Aus diesem Grund habe ich ihr auf ihrer Beerdigung einen Strauß Nelken mitgegeben. Aber das nur am Rand.
Damals war es noch üblich, dass die Großeltern die Patenschaften übernahmen. Ich war nie das Patenkind, ich war immer das „Patentkind“. Es gab noch etwas: Wir hatten am gleichen Tag Geburtstag. Als Kind war das einerseits doof, andererseits aber auch gut. Der erste Weg am Geburts-Tag ging immer zu Oma Annie. Sie wohnte in der Nachbarschaft des Domes, war umgeben von Geistlichen, anderen Amtsträgern, der „Promenez“ wie sie immer sagte. Meine Oma war in Xanten sehr bekannt und deshalb war das Haus auch immer voll wenn sie Geburtstag hatte. Wenn ich mit meiner Familie dann da war fiel meistens der Satz: „Mein Patentkind hat am gleichen Tag Geburtstag wie ich.“ Ab und an gab es dann auch mal eine Mark dazu. Mein Geburtstag wurde aber immer noch am gleichen Tag gefeiert. Darauf haben meine Eltern großen Wert gelegt.
Oma Annie hat in ihrem Leben viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Ich denke nur daran, als mein Opa plötzlich gestorben ist. Da war ich 10, meine Oma also 59 Jahre. Dann die Diagnose, dass ihre Halsschlagader „verstopft“ ist. Aber es gab da noch andere Dinge, wo wir wirklich gedacht haben: Das packt sie nicht. Aber sie hat vieles weg gesteckt.
Wenn ich schreibe, dass ich sie als „weiche Frau“ empfunden habe, könnt Ihr mir da folgen? Ich kann es gerade nicht anders beschreiben. Sie kochte die weltbeste Linsensuppe, sie kochte das beste Gulasch. Das habe ich nie wieder so gegessen.
Ich habe viele schöne Stunden mit und bei ihr verbracht. Später wurde sie ein bisschen „tüddelig“, sie hat manchmal Dinge vergessen. Ob es damals schon eine Demenz war? Ich weiß es nicht.
Mit 87 Jahren ist sie dann friedlich eingeschlafen. Sie wollte nicht mehr. Aber ich konnte sie damals gehen lassen, weil ich wusste, dass sie ein für sich gutes Leben hatte. Sie war ein positiver Mensch.
Einen Satz nehme ich von ihr mit, der immer noch gebracht wird, wenn wir von ihr erzählen:
„Vergett et ma!“ (Vergiss es mal). Ein Satz der folgte, wenn sie von schwierigen Dingen berichtet hat oder irgendetwas nicht rund gelaufen ist. Mittlerweile interpretiere ich es als „verschweigen“ oder „unter den Teppich kehren“, Ruhe vor dem Ganzen haben wollen.
Egal, ich hatte eine tolle Oma, hatte lange Zeit mit ihr und sie ist eine der Frauen, die mich geprägt hat.
Wenn Ihr auch solche Frauen im Leben habt oder hattet, dann gebe ich ihnen und Euch hier eine Bühne. Schreibt über sie und ich veröffentliche das gerne als Gastbeitrag.

Entschuldigt bitte die schlechte Bildqualität, aber ich wollte in Foto meiner Oma als junge Frau.

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